Checkliste: 9 Kriterien, um eine gute Wohnlage zu erkennen
Was ein lebenswertes Wohnviertel ausmacht
Ein gutes Stadtviertel muss mehr bieten als nur Wohnen, Garten und Parken. Wir haben nach gelungenen Beispielen gesucht und die wichtigsten Merkmale von lebenswerten Quartieren herausgefiltert.
Unsere Checkliste hilft Bauherren, Käufern oder Mietern, die neu in ein Stadtviertel ziehen oder eine Wohnung als Kapitalanlage kaufen möchten. Zugleich ist sie eine gute Grundlage, um anhand von 9 wichtigen Kriterien eine gute Wohnlage zu erkennen, in der Menschen sich wohlfühlen, Nachbarschaft gelingt und aus einer Ansammlung von Häusern ein richtiges Zuhause wird.
Das erfahren Sie in diesem Artikel:
1. Kurze Wege
Kennen Sie die „15-Minuten-Stadt“ oder die „Stadt der Viertelstunde“? Mit diesen Begriffen wird das Prinzip der kurzen Wege als Merkmal für ein gelungenes Stadtviertel beschrieben. Es bedeutet dass jeder Bedarf des täglichen Lebens wie Einkaufen, Schulen, Ärzte, Gastronomie, Verwaltung, Spiel- und Sportplätze und idealerweise auch Arbeitsplätze, innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen sein sollte. Ein wichtiges Merkmal guter Wohnlagen.
Abgesehen von der Zeitersparnis haben kurze Wege viele weitere Vorteile: Sie machen unabhängig von (umweltbelastenden) Verkehrsmitteln, reduzieren den Autoverkehr, stärken die Identität mit dem eigenen „Kiez“ und garantieren Selbstständigkeit bis ins Alter. Paris machte es vor, viele weitere Städte – darunter Wien, Berlin und Hamburg – wollen ebenfalls „Stadt der Viertelstunde“ werden und folgen damit einem Trend, der weltweit immer mehr Anhänger findet.
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2. Soziale Durchmischung
Gelungene Stadtviertel zeichnen sich dadurch aus, dass es ein buntes Neben- und Miteinander verschiedener Nutzungen, Einkommens- und Eigentumsverhältnisse, Altersgruppen und Nationalitäten gibt. Welcher Mix vor Ort zu finden ist, hängt unter anderem auch davon ab, wer für das Quartier verantwortlich ist: die Bewohner selbst oder mehrere Baugemeinschaften, die Kommune, eine große Wohnbaugesellschaft oder auch ein Pflegedienst.
Eines aber gilt immer: Je sozial gerechter Quartiere aufgebaut sind, desto besser funktionieren sie. Sie dürfen weder „Enklaven“ der Besserverdienenden noch „Ghettos“ sozial Benachteiligter sein.
Beispiel: Die Rieselfeldsiedlung in Freiburg
Ideal ist eine Durchmischung, wie man sie aus gewachsenen Kleinstädten kennt. Die „Rieselfeldsiedlung“, die Anfang der 1990-Jahre in Freiburg entstand, ist ein gutes Beispiel für gelungene Vielfalt. Sie gehört nicht nur zu Baden-Württembergs größten Wohnungsprojekten, sondern ist eines der ersten Neubauviertel überhaupt, das mit dieser Zielsetzung konzipiert wurde.
Um größtmögliche soziale Durchmischung zu erreichen, wurde der Stadtteil in Kleinstparzellen untergliedert und jeweils einzeln an möglichst viele Investoren und Bauherrn verkauft. Auf dem 70 Hektar großen, städtischen Randgebiet leben heute mehr als 10.000 Einwohner. Die drei- bis fünfstöckigen Wohnblöcke sind überwiegend in Niedrigenergiebauweise errichtet und sprechen – sehr differenziert gestaltet – ganz unterschiedliche Zielgruppen an. Auch eine Straßenbahn durchquert das Quartier; Geschäfte, Kitas und Stadtteiltreffs, ein Kirchenzentrum und mehrere Sporthallen bieten eine vielfältige Infrastruktur.
Heute präsentiert sich das Zentrum Rieselfelds als ein attraktiver Ort urbanen Lebens und rundum gute Wohnlage.
3. Partizipation und Teilhabe
Je mehr Mitbestimmung im Wohnviertel möglich ist, desto besser. Denn: Wer über seine Umwelt mitbestimmen kann, identifiziert sich mehr mit ihr und erlebt so höhere Lebensqualität. Nachbarschaftspflege wird dem Einzelnen wichtiger und auch für das Umfeld wird mehr Verantwortung und Pflege übernommen.
Wer konzeptionell oder gestalterisch mitbestimmt, identifiziert sich leichter mit dem Viertel und nimmt am nachbarschaftlichen Leben teil. Das kann ein gemeinsamer „Stadtacker“ im Stadtviertel sein, gemeinschaftlich genutzte Treffpunkte wie Co-Working-Zonen, Stadtteilküchen oder regelmäßig stattfindende Märkte. Damit sie sich stabil etablieren können, sollten diese Maßnahmen im Idealfall bereits in einer frühen Phase mit in die Quartiersplanung einbezogen werden. Eine gute Wohnlage lässt sich so aktiv mitgestalten.
4. Sicherheit
Sicherheit ist eine entscheidende Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und den öffentlichen Raum in vollem Maße nutzen zu können. Das Quartier spielt als unmittelbarer Ort des Zusammenlebens dabei eine zentrale Rolle.
Doch Sicherheit ist kein messbares, quantifizierbares Gut, sondern wird stark subjektiv beeinflusst. So ist die Abwesenheit von Kriminalität alleine noch kein Garant für eine gute Wohnlage oder ein Stadtviertel, in dem sich Bewohner und Bewohnerinnen sicher fühlen: Vielmehr spielen übersichtliche und gut beleuchtete öffentliche Bereiche wie Parks, Wege, Parkplätze, Schulhöfe und Hauseingänge, eine wichtige Rolle.
5. Quartiersmanagement
Quartiersmanagement ist ein Kernelement eines funktionierenden Wohnviertels. Sogenannte „Quartiersmanager“ fungieren als wichtige Ansprechpartner für die Bewohnerinnen und Bewohner und bilden die Schnittstelle zu der Quartiers- und Stadtverwaltung. Da sie im Viertel arbeiten – im Idealfall dort sogar wohnen – nehmen Quartiersmanager Chancen aber auch Defizite vor Ort unmittelbar wahr und können – wenn nötig – zeitnah gegensteuern und Verbesserungen anregen.
Sie aktivieren die Bewohnerschaft zu einem harmonischen Miteinander und initiieren gemeinsame Projekte: Von Fahrradverleihstationen über Gesundheitsservices bis hin zu Integrationsstellen und Konfliktmanagement-Büros. Dabei arbeiten sie nicht selten mit lokalen Akteuren und Institutionen zusammen. Ziel ist es, eine lebendige Nachbarschaft aufzubauen, das Verantwortungsgefühl für den eigenen Wohnort zu stärken und langfristig selbsttragende Bewohnerstrukturen zu schaffen.
6. Nachhaltige Struktur
Bedürfnisse ändern sich, auch in akzeptierten, gut gewachsenen Stadtvierteln: Damit eine lebenswerte Wohn- und Aufenthaltsqualität über viel Jahre hinweg aufrechterhalten werden kann, ist es wichtig, Nutzungswechsel zwischen Wohnen, Büro, Schul- oder Gesundheitsbauten möglichst unkompliziert zu gestalten und schnell auf veränderten Bedarf reagieren zu können.
Dafür sind nicht nur flexible Bauweisen nötig, sondern vor allem auch ein Baurecht, das solche Nutzungswechsel unkompliziert zulässt. Mischgebiete etwa bieten mehr Nutzungsmöglichkeiten als reine Wohngebiete. Seit einigen Jahren gibt es die Kategorie „Urbanes Gebiet“, in der Wohnen und Gewerbe nebeneinander erlaubt sind. Bauliche Nachhaltigkeit bedeutet zugleich auch langfristige Planung bei der an die Instandhaltung von Gebäuden und der Infrastruktur gedacht und eine effiziente und flexible Abfallwirtschaft etabliert wird.
Was der Bebauungsplan über Ihr Wohngebiet verrät
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7. Stadtgrün
Grüne Wohnlagen sind gute Wohnlagen. Grünflächen, Bäume, Dach- und Fassadenbegrünungen: Sie heben nicht nur den Freizeitwert eines Quartiers, sondern sorgen auch für mehr Sauerstoff und Klimaresilienz – indem sie Aufheizung reduzieren und ausreichend Sickerflächen für Regenwasser zur Verfügung stellen. Das ist selbst in dichtbesiedelten Stadtzentren möglich:
Beispiel: Der Neubau Kö-Bogen II in Düsseldorf
Damit beim Neubau Kö-Bogen II in Düsseldorf die Bepflanzung jenseits der üblichen „Balkonblumen“ zu einem integralen Bestandteil des Stadtentwurfs werden konnte, entwickelte das Büro Ingenhoven Architects zusammen mit dem Berliner Botaniker Prof. Dr. Strauch ein umfassendes, sogenanntes phytotechnologisches Konzept: Auf Basis einer genauen Analyse des Standorts wurden die bautechnischen Anforderungen definiert, wie Größe und Art der Pflanzgefäße, ein Konzept für die Wasser- und Nährstoffversorgung, die Pflege der Pflanzen sowie den regelmäßigen Beschnitt.
Während das Dach des Kö-Bogen II nach konventioneller Methode in Pflanzenbeeten, begrünt wurde, wachsen die Hecken an den nord- und westwärts ausgerichteten Fassaden in einem speziellen Begrünungssystem aus horizontal angeordneten Behältern an einer separaten, fest mit der Fassade verbundenen Tragstruktur empor.
Nachhaltiges Stadtquartier: "Neue Weststadt" in Esslingen
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8. Mobilität
Mobilität ist eines der wohl meistdiskutierten Themen rund um die Konzeption neuer Stadtviertel und zentrales Merkmal guter Wohnlagen. Eine durchdachte Fußgänger- und Radwegeführung sorgt für Bewegung im Quartier, die optimale Vernetzung mit angrenzenden Stadtteilen. Eine gut getaktete öffentliche Anbindung an das Stadtzentrum oder nahegelegene Städte vergrößern den Aktionsradius ohne Auto.
Die Mobilitäts- und Verkehrskonzepte der einzelnen Quartiere sind manchmal sehr moderat manchmal auch sehr konsequent in ihren Maßnahmen und gipfeln als „radikalste“ Idee in dem Versuch, gänzlich autofreie Städte zu planen.
Das Beispiel Oslo
Prominentes Beispiel: 2019 verbot die norwegische Hauptstadt Oslo als erste europäische Stadt den privaten PKW-Verkehr in der Innenstadt komplett. Mehrere hundert Parkplätze wurden im Stadtzentrum ersatzlos abgeschafft, Parkgebühren zum Teil um 50 Prozent erhöht. Auch wenn nicht jeder Osloer davon begeistert ist, zeigt die radikale Methode doch Erfolg: Der öffentliche Nahverkehr wurde ausgebaut und die Fahrgastzahlen stiegen drastisch – ebenso wie die Nutzungsrate der städtischen Leihfahrräder.
Für ihr beherztes Agieren in Sachen Verkehrswende wurde Oslo 2019 zur Umwelthauptstadt Europas gekürt. Oslo ist außerdem eine der ersten Städte, die ein CO2-Budget verabschiedet hat: ein Emissionskonto das für Haushaltsentscheidungen verbindlich ist. Dazu gehört, dass bis 2028 der gesamte Nahverkehr elektrisch und somit abgasfrei betrieben werden soll.
9. Smart City
„Smart“ geplante und digital vernetzte Wohnviertel sollen in der Lage sein, ihre Effizienzpotenziale bestmöglich auszuschöpfen. Mobilität und Verkehrslenkung, Wohnkomfort und Sicherheit, Energieversorgung und Wärmeerzeugung, Abfallwirtschaft und Umweltschutz aber auch das Zusammenleben von Jung und Alt werden gesamtheitlich betrachtet, um den Bewohnern Mehrwertdienstleistungen anbieten zu können. Die technologische Entwicklung wird genutzt, um nach sinnvollen Lösungen für ein gutes Zusammenleben aller zu suchen.
Auch die Sharing Economy für Güter wie Autos, Werkzeuge oder Waschmaschinen profitiert von der digitalen Vernetzung. Weitere Beispiele sind das Bereitstellen einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur für Elektromobilität inklusive Carsharing oder auch ein effektives Parkraummanagement mit Meldesystemen für freie Parkplätze.