Klimaneutrales Stadtquartier: Grüner Wasserstoff aus Solarstrom
"Neue Weststadt" in Esslingen
Wenn in bester Lage auf ehemaligen Industrieflächen 450 Wohneinheiten neu gebaut werden, ist allein das schon eine gute Nachricht. Zum nachhaltigen Vorzeigequartier wird die „Neue Weststadt“ aber vor allem durch ihr nachhaltiges und zukunftsweisendes Energiekonzept: die Erzeugung von "grünem Wasserstoff" aus Solarstrom. Ein Besuch in der „Neuen Weststadt“ in Esslingen am Neckar.
Stadtquartier "Neue Weststadt": Klimaneutral bauen und wohnen
Ökologische Pluspunkte sammelt die „Neue Weststadt“ zunächst einmal durch ihre Lage: Sie entsteht auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände im Westen von Esslingen. 450 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie ein Neubau der Hochschule Esslingen auf einer Industriebrache – das ist schon mal top. Ebenso günstig ist die Nähe zur Innenstadt sowie die perfekte Anbindung an den öffentlichen Nah- und Fernverkehr im Neckartal.
Zum nachhaltigen Vorzeigequartier wird die „Neue Weststadt“ jedoch durch ein ausgesprochen ambitioniertes und zukunftsweisendes Energiekonzept. Dieses ist der Grund, weshalb das neue Quartier zu einem von sechs bundesweiten städteplanerischen Leuchtturmprojekten ernannt wurde, gefördert vom Bundeswirtschafts- und vom Bundesforschungsministerium.
Leuchtturmprojekt: Wasserstofferzeugung aus Ökostrom
Die unverschatteten Dachflächen der Wohngebäude eignen sich perfekt für die Erzeugung von Solarstrom. Doch wohin mit den Ökostrom-Überschüssen? Der neue Ansatz: Sie werden vor Ort in sogenannten „grünen Wasserstoff“ umgewandelt. Dieser kann lokal gespeichert werden, um dann im Quartier nach Bedarf für die Heizung, als Antrieb für Busse und Privat-Pkw sowie für industrielle Prozesse genutzt zu werden. Was so einfach klingt, ist in Wirklichkeit eine technisch höchst anspruchsvolle und innovative Prozesskette. An deren Beginn steht die Wasserstoff-Erzeugung aus Ökostrom.
Fakten-Check: Lohnt sich eine Wasserstoffheizung fürs Eigenheim?
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„Grüner“ Wasserstoff als Energieträger der Zukunft
Wasserstoff kommt in der Natur massenhaft vor, allerdings nicht in reiner Form, sondern eingebunden in nahezu allen organischen Verbindungen. Für das „Herauslösen“ aus diesen Verbindungen, zum Beispiel per Elektrolyse, wird Energie benötigt. Stammt diese Energie von Photovoltaikanlagen, Windparks oder der Wasserkraft, dann gewinnt man „grünen“ Wasserstoff.
Zum hoffnungsvollen Energieträger der Zukunft wird der so erzeugte Wasserstoff durch seine vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten. Die wichtigsten:
- Erzeugung von Antriebsstrom für Elektrofahrzeuge,
- Erzeugung von Strom und Wärme für Haushalt und Heizung in stationären Brennstoffzellen,
- Direktverbrennung von Wasserstoff in Gasheizungen, entweder als Beimischung zu Erdgas oder sogar in reiner Form,
- Verwendung als Energieträger in vielen industriellen Prozessen.
Weiterer Vorteil: Wasserstoff kann – im Gegensatz zu Ökostrom – einfach und lange Zeit verlustfrei gespeichert werden. Das heißt: Sommerliche Solarstrom-Überschüsse können über den „Umweg“ Wasserstoff im Winter genutzt werden.
Alle diese Möglichkeiten, von der Erzeugung über die Speicherung bis zu den verschiedenen Nutzungen des grünen Wasserstoffs, sollen in der „Neuen Weststadt“ Schritt für Schritt realisiert werden. Wissenschaftlicher Koordinator des Projektes ist Manfred Norbert Fisch, Professor für Energie- und Gebäudetechnik am Steinbeis-Innovationszentrum EGS Stuttgart. Er bezeichnet grünen Wasserstoff als „eines der Schlüsselelemente der Energiewende“ und bringt seine Zukunftsvision einer nachhaltigen Energiewirtschaft klar auf den Punkt: „Klimaneutralität ist nur mit solarer Wasserstoff-Wirtschaft möglich.“
Unterirdische Energiezentrale
Derzeit entsteht im neuen Quartier eine Energiezentrale − aufgrund der städtebaulichen Anforderungen als unterirdisches Bauwerk. Herzstück ist der Elektrolyseur zur Wasserstoff-Erzeugung. Anfang 2021 wurden die beiden Elektrolyseeinheiten installiert, bis zum Sommer sollen sie ihren Betrieb aufnehmen. Dabei wird in einem elektrochemischen Prozess Wasser in seine Grundbestandteile Wasserstoff und Sauerstoff getrennt. Ein Vorteil der kurzen Wege: Die beim Elektrolyseprozess anfallende Abwärme wird über ein Nahwärmenetz vor Ort im Quartier genutzt.
Den erzeugten Wasserstoff liefern die Elektrolyseure in einen mächtigen, knapp neun Tonnen schweren Speicher. Er ist 9,8 Meter lang und hat einen Durchmesser von 2,1 Meter. „Das Gewicht kommt insbesondere durch die 1,2 Zentimeter dicke Edelstahlwand des Speichers zustande“, erläutert Felix Mayer, zuständiger Projektmanager und Ingenieur bei der Green Hydrogen Esslingen GmbH. Der Schutzmantel ist aufgrund der Druckwechsel im Speicher nötig.
Projektmanager Mayer hat noch weitere interessante Zahlen parat: „In den Speicher passen 30 Kilogramm Wasserstoff. Das klingt nach sehr wenig, doch die spezifische Energiedichte von Wasserstoff ist enorm hoch. So entspricht ein voller Speicher etwa 1.000 Kilowattstunden bezogen auf den Heizwert. Das angeschlossene Blockheizkraftwerk kann mit dem vollen Tank mehr als zwei Stunden laufen und so zum Beispiel die 167 Wohneinheiten eines Wohnblocks mit Energie versorgen.“
So viel grünen Wasserstoff produziert das Klimaquartier
Im Klimaquartier „Neue Weststadt“ werden zukünftig jedes Jahr 85 Tonnen grüner Wasserstoff produziert. Diese Energiemenge entspricht 283.305 Litern Öl oder dem Jahresstromverbrauch von 726 Drei-Personen-Haushalten.
Wasserstoff-Infrastruktur: von der Erzeugung und Speicherung zur Nutzung des Wasserstoffs
Hier gilt in der Esslinger Weststadt das Prinzip, die Bereiche Wärme, Strom, Mobilität und Industrie so eng wie möglich zu koppeln. Die Komponenten hierzu:
- Ein Blockheizkraftwerk erzeugt in der Energiezentrale Strom und Wärme fürs Quartier.
- Ein Nahwärmenetz verteilt die erzeugte Wärme in die Gebäude.
- Flächendeckendes Angebot an Ladestationen für Elektromobile.
- Elektro-Hybridbusse nutzen den erzeugten Strom. Zum Teil gibt es in Esslingen schon ein Oberleitungsnetz für den elektrischen Betrieb von Bussen – das erleichtert den Umstieg der ÖPNV-Flotte.
- Eine Wasserstoff-Tankstelle soll zukünftig Brennstoffzellen-Fahrzeuge aller Art versorgen: Privat- und Geschäfts-Pkw, Busse und Lkw.
- Batteriespeicher dienen dem kurzzeitigen Ausgleich von erneuerbarer Erzeugung und Verbrauch in den Gebäuden oder den Strom-„Tankstellen“.
- Eine Einspeisestation in das Erdgasnetz sowie eine Abfüllstation für Wasserstoff ermöglichen zudem die Nutzung des Wasserstoffs außerhalb des Quartiers, zum Beispiel die Verwertung in der Industrie.
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Insgesamt 13 Projektpartner sind am klimaneutralen Quartier Neue Weststadt Esslingen beteiligt. Alle hoffen, dass sich ihr Einsatz und ihre Pionierarbeit lohnen wird. Dann wird das Leuchtturmprojekt tatsächlich auf andere Stadtquartiere ausstrahlen – auf dem Weg in die solare Wasserstoff-Wirtschaft.
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