Buchrezension: Dörte Hansens "Zur See"
Nordischer Roman
In „Zur See“ von Dörte Hansen geht es zur Sache. Am Anfang frostig. Weil die Nordsee so kalt ist. Dann hitzig, weil die Paare heftig streiten. Dann ruhiger, als der alte Kapitän im häuslichen Hafen landet. Seine Frau präpariert ein Walskelett.
Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Rainer Horn und seine Buchrezension zu Dörte Hansens "Zur See".
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Haben Sie gewusst, dass ein gestrandeter Wal furchtbar stinkt? Ich habe in der Mitte des Buches nicht gewusst, ob ich weiterlesen soll. Mein dritter Roman von Dörte Hansen.
Nummer 1: "Altes Land". Düster, liebevoll, erhellend.
Nummer 2: "Mittagstunde". Düsterer, der Wirt immer voll, auch erhellend.
Nummer 3: "Zur See". Sehr düster. Der Kapitän auch voll. Auch sehr erhellend.
Mein Lieblingskapitel bei „Zur See“: Kapitel 1. Der Decksmann übt das kleine Frieren. Weil irgendwann das große Frieren kommt. Die Inselmänner sind Großmeister des Frierens. Der Opa der Familie Sander: „Mit zwölf das erste Mal an Bord und dann ein Seemannsleben lang den Sommer nicht gesehen. Vom Kombüsenjungen hochgefroren bist zum Kapitän“.
Meine Lieblingspassage: „Von Ostern bis Oktober hängt Henri Brix am Takt der Inselfähre wie ein Bauer an den Jahreszeiten und dem Rhythmus seiner Melkmaschine. Jeden Morgen holt er die Touristen von der Fähre, und dann kutscht er seine Herde zu den immer gleichen Weideplätzen, bis er sie abends leer gemolken auf das Schiff zurücktreibt.“
Das Problem: Die Touristen kommen auf die Nordseeinsel. Machen alles kaputt. Weil sie selber seelisch ein bissle kaputt sind. Und Hilfe, Heil, Rettung und Heilung suchen. „Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.“
Empfehlung 1 von Hanne Sander, Kapitänsfrau und Mutter dreier Kinder, Museumsführerin und die, die das Skelett vom Wal präpariert: „Man muss vom Tag so müde sein, dass man am Abend schlafen kann.“
Und noch besser, für uns Volk der therapierenden Amateurtherapeuten oder armen Halbtherapierten – mal was Neues. Den Dingen nicht auf den Grund gehen: „Sie hütet sich davor, den Dingen auf den Grund zu gehen. Was sie da unten finden könnte, will sie gar nicht sehen. Man darf nicht jede Frage endlos weiterdenken und an allem ewig kratzen oder schürfen.“
Wohin das führt, sieht man an Sohn Ryckmer. Der Tag muss mit zwei Flaschen Nordseebrot beginnen. Schnaps. „Am Ende ist der Mensch dann nicht mehr zu beruhigen.“
Aber bei aller Düsternis, so mein ich, doch auch ein Funken Humor. Hannes Ehemann, Kapitän und 20 Jahre abwesender Vogelausstopfer, kehrt zurück ins Haus. Zu seiner Frau.
„Stattdessen geistert einer, der jahrelang nur Vögel um sich haben wollte, plötzlich wieder durch das Haus. Nimmt sich Eier oder Käse aus dem Kühlschrank, bringt die Zeitung durcheinander, hängt seine Wäsche auf und vergisst in der Maschine eine Socke.“
Haben Sie gewusst, dass ein Kaventsmann in der Seemannsprache ein Wellenberg ist? Einer, der aus zwei verschiedenen Richtungen anbrandet und ein Schiff versenken kann. Ryckmer Sander hat ihn gesehen. Deshalb die zwei Flaschen Nordseebrot am Morgen.
Was mir nicht gefällt: Der Inselpfarrer kommt schlecht weg. Bin ja selber Amateurpfarrer und leide da mit. Wenn dem hochengagierten Hochwürden die Frau wegläuft, im Gästebuch böse Beschimpfungen stehen und er Klara Loof, Kapitänswitwe, nicht helfen kann. „Der Wind hat ihn zu einem Hochlandrind toupiert.“ Oder eben: Dörte Hansen hat ein Rindvieh aus ihm gemacht.
Lesen Sie das erste Kapitel von Dörte Hansen: „Zur See“. Dann machen Sie es wie immer: Machen Sie, was Sie wollen. Vielleicht lesen Sie weiter. Ich kann es Ihnen nicht verdenken.
Dörte Hansen: Zur See. Penguin Verlag, ISBN: 978-3-328-60222-4, 24 Euro.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Rainer Horn. Seine gesamten Buchrezensionen finden Sie hier: Buchrezensionen unseres Gastautoren Rainer Horn »