Buchrezension: "Liebe in Zeiten des Hasses" von Florian Illies
Liebespaare der 1930er Jahre
Die dreißiger Jahre − die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergriffen − waren bestimmt von Hass und Gewalt. Inmitten dieser Zeit erzählt Florian Illies von den größten Liebespaaren der Kulturgeschichte.
Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Rainer Horn und seine Buchrezension von Florian Illies Roman "Liebe in Zeiten des Hasses".
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Yuval Noah Harari stellt in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ fest: Tratsch war das wichtigste Bindungselement in der steinzeitlichen Sippe. Genauso ist es bei Florian Illies in „Liebe in Zeiten des Hasses“. Auch da ist der Tratsch das wichtigste Bindungselement des Sippen- oder Sitten-Buchs. Tratsch über Bertolt Brecht. Tratsch über Martin Heidegger. Tratsch über Marlene Dietrich. Tratsch über Mascha Kaléko. Tratsch über Hermann Hesse. Tratsch über Henry Miller. Tratsch über Josefine Baker. Über Josef Roth, Max Beckmann, Erich Kästner. Tratsch über Stauffenberg, Sternberg, Hemingway, Picasso und Thomas Mann. Auf Englisch würde man sagen: He [Florian Illies] gossiped happily away.
Haben Sie gewusst, dass Gottfried Benn nix schreiben konnte, wenn er mit seinen zahllosen Liebschaften zugange war – aber schreiben konnte, wenn er niemanden hatte? Und dass Kurt Tucholsky, umgekehrt, sehr gut schreiben konnte, wenn er mit seinen zahllosen Liebschaften zugange war – aber nix schreiben konnte, wenn er außerehelich niemanden hatte?
Haben Sie gewusst, dass Brigitte Helm, Stardarstellerin in Fritz Langs „Metropolis“, grad so berühmt war wie Marlene Dietrich? Dann aber keine Lust mehr hatte auf das ganze Filmgeweddel und sich ins Haus und an den Herd verabschiedete?
Haben Sie gewusst: Albert Einstein, Begründer der Relativitätstheorie, schreibt seiner Frau: „Schreiben ist dumm. Morgen küss ich dich mündlich“.
Haben Sie gewusst, dass nicht klar war, wer die Hauptrolle im Film „Der blaue Engel“ bekommt: Leni Riefenstahl oder Marlene Dietrich? Frau Riefenstahl wird nicht der blaue Engel, sondern der Filmengel Hitlers. Frau Dietrich wird der blaue Engel und später auch noch Western-Girl und hatte wahrscheinlich mal was mit John F. Kennedy.
Haben Sie gewusst, dass Dietrich Bonhoeffer eitel und schwul war? Nichts gegen die Formen der Liebe, die Liebe siegt. Die Liebe sei über allem. Aber: Soll ich das wissen? Muss ich das wissen? Will ich das wissen?
Mit am schlechtesten kommt Bertolt Brecht weg. Er lügt. Er ist faul. Er betrügt. Er zwingt seine Liebe zur Abtreibung. Obwohl sie zwei schöne Zöpfe hat und die eine, reine sozialistische Gesinnung.
Wer auch noch schlecht weg kommt: Jean-Paul Sartre. Hammerstory: Er will sich zum ersten Mal mit der begehrten Simone de Beauvoir treffen. In einem Café. Anstatt Simon kommt Schwester Hélène vorbei und richtet aus, dass die Schwester heute nicht könne. Da fragt Sartre: „Aber wie haben Sie mich so schnell gefunden, inmitten all dieser Menschen hier?“ „Simone“, erklärt sie, „hat mir gesagt, Sie seien klein, trügen Brille und seien sehr hässlich“.
Gut kommt weg: Ruth Landshoff, die Ikone der Berliner 20er. Cabrio-Fahrerin mit Hund. Liiert mit Karl Vollmoeller (später Drehbuchautor von „Der blaue Engel“), Francesco von Mendelssohn (Musiker, fährt Lancia-Cabriolet mit Sitzbezügen aus Hermelin, tritt gern im roten Lederanzug auf), Doris von Schönthan (Model, Werbetexterin, Fotografin, Journalistin), Marianne Breslauer (Fotografin und Schülerin von Starfotograf Man Ray), Annemarie Schwarzenbach (Fotografin, nimmt viel Morphium) und Mopsa Sternheim (Bühnenbildnerin, Ex-Freundin von Gottfried Benn und nimmt viel Opium). Später, im amerikanischen Exil steht Ruth Landshoff für Bilder von Andy Warhol Modell. Bilderbuchkarriere.
Gut kommt auch weg: Anaïs Nin, die wichtigste Liebschaft von Henry Miller. Verarbeitet und abgebildet in „Stille Tage in Clichy“. Anaïs Nin weilt an einem einzigen Tag beim Liebhaber, dann bei Henry, dann beim Ehemann. Liebe immer nur aus Liebe. Schreibt: „The House of Incest“. Echt: Auch der Papa war bei den Liebhabern.
Gut kommt weg: Mascha Kaléko. Berlin ist süchtig nach ihren Gedichten. Dann geht es in zweiter Ehe auch noch ganz ordentlich ins Exil.
Gut kommt weg: Lee Miller. Model, viele Männer. Lernt bei Man Ray. Dann selber Fotografin. Fotografiert die Invasion der Alliierten und die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau. Ihre Fotoarbeiten werden zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts gezählt. Einer malt ganz lang an ihren Lippen. Übergroß. Der frühere Lehrer und Liebhaber Man Ray.
Das halbe Buch sind die „roaring twenties“ in Berlin und Paris. Auch der Lebensstil der „Boheme“. Am besten erklärt (und besungen) von Charles Aznavur: La bohème / On était jeunes / On était fous. Also: La bohème / man war jung / man war irre.
Dann der Untergang. Die Nazis kommen. Was tut die intellektuelle Elite Deutschlands? Nichts. Naja, schaut noch nach der einen oder anderen Liebschaft, bemitleidet sich und lässt sich durchfüttern. Nicht Erich Kästner. Der steht dabei, als in München seine Bücher verbrannt werden. Nicht Konrad Adenauer. Der lässt Hakenkreuz-Fahnen abhängen.
Dann noch die Sache mit dem Haus. Also wer der 100 Protagonisten lebt im Eigenheim? Die Überraschung ist perfekt. Überzeugter Kommunist, Eigentumsgegner und Träger vom Namen Bertolt. Bertolt Brecht, Eigenheim zuerst am Ammersee, dann im Exil in Dänemark.
Na, und dann die Manns. Immer wieder hat Thomas Mann ein Haus. Und die ganze bucklige Verwandtschaft gesellt sich dazu. Heinrich, Erika, Golo, Kati, Klaus und die Gattinnen, Gatten und Freunde. Übrigens: schier nix heterosexuelles in der ganzen Sippe. Ähm, will „manns“ wissen?
Und Wilhelm der Zweite. Ex-Kaiser von Deutschland. Genauer: Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen. Lebt natürlich im Eigenheim. Exil-Eigenheim. Haus Doorn in Utrecht. Und mir ganz sympathisch. Des Amtes längst enthoben, macht er es wie ich: Er geht in den Wald und hackt Holz. Als der eigene Wald ganz gehackt ist, geht er in den Wald vom Nachbarn.
Jetzt kann ein Buch ja profitieren, wenn mehrere Schicksale sich ineinander weben. Mal was von Henry Miller. Mal was von Herrn Staufenberg. Mal was von Gottfried Benn. Mal was von Hermann Hesse und der treusorgenden Gattin.
Das funktioniert bei Dörte Hansen in „Altes Land“ gut, kunstfertig, gefällig und noch halbwegs neuronenschonend.
Aber Florian Illies: Zuviel des Guten. Nicht nur knapp über die Grenze geschrammt. Sondern weit, weit drüber. Wie der Torschuss, der weit, meterweit über der Latte fliegt. Echt. Man kriegt die Fäden nicht mehr gehalten, wenn auf 10 Seiten 20 Geschichten nebeneinander laufen. Neuronenknäuel.
Dennoch. Ich habe im Internet nach Ruth Landshoff gesucht, Man Ray gefunden, viel über die Familie Mann gelesen, Lee Miller gegoogelt, Bert Brecht gewikipediat, Bilder von Anaïs Nin angeschaut und - Henry Miller, „Stille Tage in Clichy“ bestellt.
Auch dennoch: Ich hab unter den 100 Protagonisten gesucht. Nach der funktionierenden Ehe. Weil ja im ganzen Buch jeder mit jedem, jede mit jedem und jede mit jeder. Ich hab nur drei passable Ehen gefunden:
Aber die hier – hinreißend: Vladimir und Véra Nabokov. Nabokov Schriftsteller, zum Beispiel „Lolita“. Er an seine Véra: „Eines muss ich dir sagen: Vielleicht habe ich es dir schon einmal gesagt, aber für alle Fälle sage ich es ein weiteres Mal … diese Sache ist mit alledem gar nicht zu vergleichen, sie ist so viel wichtiger, tiefer, breiter, erhabener. Diese Sache - übrigens bedarf es keine so langen Vorrede: ich sage dir ganz einfach worum es geht. Also: ich liebe Dich.“
Es kommt ihm nur mal eine Hundefriseurin dazwischen. Aber sie fangen sich wieder.
Dann, respektabel: Kurt Weill (Dreigroschenoper, mit Bert Brecht), verheiratet mit Lotte Lenya. Immer mal kam ihr einer dazwischen. Also außerhalb des Ehebetts. Und mit einem Tenorsänger hat sie viel Vermögen vom Ehemann zum Casino getragen. Auch eine Scheidung kam dazwischen. Aber die Abrechnung wird am Schluss gemacht. Sie heiraten noch mal.
Nummer 3, erbärmlich, zum Heulen, aber am Schluss vereint: F. Scott Fitzgerald und Zelda Fitzgerald. Seine Sauferei und Ihr Wahnsinn kamen beiden immer wieder dazwischen.
Florian Illies plaudert, klatscht, tratscht und gossipt über die Intellektuellen, Musiker, Schauspieler, Schreiber, Fotografen und Künstler. Von 1920 – 1940. Macht Liebe, Beziehungen, Neigungen und Intimitäten öffentlich. Das hat mir ein paar Illusionen genommen und ein paar Heilige entheiligt. Ich hab viel gelernt und ein paar Idole meiner Jugend verloren. Passen Sie auf, was ich Ihnen sage: Manchmal ist es ganz gut, wenn man nicht alles weiß. Wenn Sie es trotzdem wissen wollen: Lesen Sie Florian Illies' „Liebe in Zeiten des Hasses“.
Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939, Siedler, 978-3-103-97073-9, 24 Euro
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Rainer Horn. Seine gesamten Buchrezensionen finden Sie hier: Buchrezensionen unseres Gastautoren Rainer Horn »